Titel: Rosenstein

 


Seitenanzahl: 188

 


Druckdatum: 18.10.2015

 


Veröffentlichung: nicht geplant

 


Kommentar:

 

Tragendes Thema ist die Liebe und was verschiedene Personen als Liebe definieren. Wie empfindet beispielsweise

der Lebemann, ein Eremit, eine Bauerntochter oder eine Adlige dieses Wort mit mannigfaltigen

Bedeutungsmöglichkeiten? Irrungen und Wirrungen sind dabei garantiert und münden selbstverständlich in einem

großen Durcheinander.     

Leseprobe:

 

Erzähler (dessen Stimme sich über die noch verdunkelte Bühne monoton ausbreitet): Der Definition nach ist eine Stadt der wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkt eines Gebietes, in dem viele Menschen einer Verwaltungseinheit leben. Die Stadt, von der nun die Rede ist, hat alles doppelt so oft wie gewöhnliche andere Städte. Auch wenn die Straßen nicht mit Goldbarren gepflastert sind, so zählt sie doch zweifelsfrei zu den oberen Städten des Landes. Und wenn die Sonne kurz nach der achten Stunde des Tages über den Giebeln hinweg die Straßen in goldenes Licht taucht, wer möchte da noch glauben, dass es sich nicht vielleicht doch um ein wertvolles Edelmetall handelt, auf welchen zig tausend Bürger ihre Füße abstreichen? Ja, es darf sogar mit Verlaub von der besten aller Städte gesprochen werden, ohne sein eignes Gewissen besonders zu belasten.

Diese Hochkultur wurde begünstigt von etlichen Jahren der Langeweile, denn wo Langeweile der Gastgeber ist, ist Überfluss der betuchteste Gast. Es gab weder Kriege, noch Revolutionen oder andere Katastrophen, die den Wohlstand mindern konnten. Die Regierung diente seinen Bewohnern, welche beflissentlich geneigt waren wiederum ihrer Regierung gegenüber keinen Schandfleck darzustellen. Alles lebte im Einklang, sodass immer mehr Menschen über das Meer fuhren, um das Festland hinter sich zu lassen und ein neues Leben beginnen zu wollen. Dies war bereits der nächste nicht unwesentliche Vorzug dieser Stadt, denn durch die hervorragende topographische Lage in einer Bucht, welche von Bergen umzäunt wie ein Schutzwall war, ist sie in Vergangenheit zu einem Hauptnabel des Handels gereift, ohne dabei Angst vor Plünderungen oder anderen unglücklichen externen Umständen leiden zu müssen.

Schaute man auf den Straßen den Bewohnern ins Gesicht, so spiegelte sich in mindestens einem Auge der ganze Stolz der Gemeinde – das Schloss, jenes imposante Wahrzeichen, welches am Ende einer Erhebung, wie auf einem Thron gebettet lag. Zur anderen Seite hin fielen die Felsen abrupt hinab, um an deren Fuß in eine Masse von Wohnhäusern zu münden.

Das eigentliche Leben spielte sich jedoch auf dem Marktplatz ab. Eine fast quadratische Fläche, die umrahmt von Fachwerkhäusern (im Besonderen galt der Rathhausturm mit seinem meeresblauen Ziffernblatt hervorzuheben) ein Treffpunkt jeglicher Gesellschaftsschichten darstellte. Besonders beliebt waren die Schenken und Cafes. Dort traf sich jeder, der große Stücke auf sich hielt und mindestens ein Floren als Tausch für etwas Flüssiges, selten auch Festes, in der Tasche stecken hatte. Es wurde gesabbelt, gestampft und zu später Stunde natürlich auch getanzt. Wie im Puppentheater sah es dann aus. Beine und Köpfe flogen unentwegt nach rechts, dann wieder nach links und schließlich zurück um den Holzbalken herum, der das Treiben ruhig bestaunen musste. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag wurde der Marktplatz zudem überschwemmt von Händlern aus allen Herrgottsländern der Welt. Teppiche aus dem osmanischen Reich, Obsthändler aus Kastilien und vor allem auch Weinhändler aus der Loire Frankreichs waren nur einige der beliebtesten von ihnen. Kaum wackelte das Holzgarnier, um anzuzeigen, dass sich die klapprigen Fenster der Verkaufsstände bald öffnen würden, so trat eine Traube von Menschen lautstark heran, denn jeder wollte der Erste sein. Ganz zur Freude der Verkäufer, die um ihr Familienglück damit nicht mehr bangen mussten.

In solchen oder ähnlichen Situationen ist es ein eigentümliches Gefühl, wenn sich der Vorstellung hingegeben wird, dass hinter jedem Gesicht nicht nur Knochen und rosarote Innereien wohnen, sondern ein Wesen, welches ein Buch mit Erlebtem füllen könnte. Das gesammelte Leid und die Freude würden darin erkennbar sein. Der Schmerz und die Sehnsucht nach Erlebten, welches beständig in Erinnerungen wiederkehrt und doch nicht mehr zur Realität wandelbar ist - es sind die Narben auf den Seelen. Selbst wer zu Hause verbarrikadiert und ohne einen Sonnenstrahl, der seine Fußspitzen kitzeln könne, sein Leben fristet, könnte ein beachtliches Buch zu Stande bekommen. Denn wie viele etliche Wünsche haben sich wohl in dieser Abstinenz angesammelt, die noch farbenfroher sind, als von jenen, die nicht einmal ein zu Hause haben? Der Tag macht sehend, doch die Nacht wissend.

Doch warum erzähle ich Ihnen das alles in der Form der Vergangenheit? Ganz einfach aus dem Grund, weil dies alles nur erdachte Hirngespinste sind. Niemals gab es oder wird es eine derartige Stadt mit wohl gestimmten Einwohnern auf diesem Globus geben. (Während der gesamten Ansprache erhebt sich nun das erste Mal aus dem bisherigen Einheitsbrei mahnend seine immer lauter werdende Stimme) So seht doch bitte ein, dass der Mensch nicht zum Glücklichsein geschaffen wurde!

 

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